shlogo
Goethe streift Hamborn

[Home]
[Eiszeit]
[Steinzeit]
[Bronzezeit]
[Eisenzeit]
[Germanen]
[Mittelalter und frühe Neuzeit]
[Die erste wahrscheinliche urkundliche Erwähnung]
[erste gesicherte urkundliche Erwähnung von 1137 (1140)]
[Die Zeit der Kleinsiedlungen]
[Die Wüstfallung]
[Alte Wegführungen um Hamborn]
[Goethe streift Hamborn]
[Reformation, Dreißigjähriger Krieg und die Pest]
[Der Siebenjährige Krieg]
[Die Geschichte des Bistums Paderborn]
[Moderne]
[Neueste Zeit]
[Womit wurde in Hamborn bezahlt?]
[Impressum]
[Schloss]


Johann Wolfgang von Goethe war 1792 seinem Herzog auf einem Feldzug nach Lothringen gefolgt. Er erlebte dort die Kanonade von Valmy mit. Auf dem Rückweg machte er sich selbständig und besucht in Münster die Fürstin von Gallitzin. Den weiteren Heimweg trat er über Paderborn und Kassel nach Weimar an. Diese Fahrt kündigte er brieflich seiner Frau bereits Mitte November folgendermaßen an: “Frankfurt ist noch in den Händen der Franzosen, der Weg durch Hessen ist noch nicht sicher. Wenn in acht Tagen nichts anders wird, gehe ich durch Westphalen. Die üblen Wege sollen mich nicht abhalten, wenn ich nur endlich einmal wieder bei Dir sein kann.” (Brief vom 14. 11. 1792)
Möglicherweise hat die Postkutsche den Frankfurter Weg benutzt. Dann ist Goethe am Stern vorbeigekommen. Wahrscheinlicher aber, daß die Postkutsche den Lichtenauer Postweg nahm, ein alter Handelsweg Richtung Thüringen, dann fuhr Goethe durch den Haxtergrund. Wie auch immer, er streifte jedenfalls das Hamborner Gelände.
Die Fahrt führte Goethe nach Lichtenau, wo er im “Hochfürstlichen Paderborner Posthaus” bei Familie Flörke nächtigte und zwar vom 12. auf den 13. Dezember. Er zahlte für Übernachtung und Beköstigung insgesamt 16 Groschen, wie aus dem Gästebuch der Familie Flörken hervorgeht.


Goethes Quartier in Lichtenau: das alte Posthaus, später Rissehaus genannt, das in den fünfziger Jahren des 20. Jhd. abgerissen wurde.

Goethe beschreibt diese Fahrt von Münster nach Weimar so:

“Durch Vorsorge, auf Anregung der edlen Freundin, ward ich von dem Postmeister nicht allein rasch gefördert, sondern auch durch Laufzettel weiter angemeldet und empfohlen, welches angenehm und höchst notwendig war. Denn ich hatte bei schöner, freundschaftlicher, friedlicher Unterhaltung vergessen, dass Kriegsflucht mir nachstürme; und leider fand ich unterwegs die Schar der Emigrierten, die sich immer weiter nach Deutschland hineindrängte und gegen welche die Postillione ebenso wenig als am Rhein günstig gesinnt waren. Gar oft kein gebahnter Weg, man fuhr bald hüben bald drüben, begegnete und kreuzte sich. Heidegebüsch und Gesträuche, Wurzelstumpfen, Sand, Moor und Binsen, eins so unbequem und unerfreulich wie das andere. Auch ohne Leidenschaftlichkeit ging es nicht ab.
Ein Wagen blieb stecken, Paul sprang geschwind herab und zu Hilfe: Er glaubte, die schönen Französinnen, die er in Düsseldorf in den traurigsten Umständen wieder angetroffen, seien abermals im Fall, seines Beistandes zu bedürfen. Die Dame hatte ihren Gemahl nicht wieder gefunden und war, in dem Strudel des Unheils mit fortgerissen und geängstigt, endlich über den Rhein geworfen worden.
Hier aber in dieser Wüste erschien sie nicht: Einige alte ehrwürdige Damen forderten unsere Teilnahme. Als aber unser Postillion halten und mit seinen Pferden dem dortigen Wagen zu Hilfe kommen sollte, weigerte er sich trotzig und sagte, wir sollten nur zu unserm eignen, mit Silber und Gold genugsam beschwerten Wagen ernstlich sehen, damit wir nicht etwa stecken blieben oder umgeworfen würden; denn ob er es gleich mit uns redlich meine, so ständ’ er doch in dieser Wüstenei für nichts.
Glücklicherweise, unser Gewissen zu beschwichtigen, hatte sich eine Anzahl westfälischer Bauern um jenen Wagen versammelt und gegen ein bedungenes gutes Trinkgeld ihn wieder auf den fahrbaren Weg gebracht.
An unserm Fuhrwerk war freilich das Eisen das Schwerste, und der kostbare Schatz, den wir mit uns führten, so leicht, um in einer leichten Chaise nicht bemerkt zu werden. Wie lebhaft wünscht’ ich mir mein böhmisches Wägelchen herbei! Gleichwohl gab mir jenes Vorurteil, welches wichtige Schätze bei uns voraussetzte, doch immer eine Art von Unruhe. Wir hatten bemerkt, dass ein Postillion dem andern die Notiz von Überschwere des Wagens und die Vermutung von Geld und Kostbarkeiten jederzeit überlieferte. Nun aber wurden wir wegen vorausgeschickter Postzettel, deren richtige Stunde wir ohnehin des schlechten Wetters wegen nicht einhielten, auf jeder Station eilig vorwärts gedrängt und ganz eigentlich in die Nacht hinaus gestoßen, da uns denn wirklich der bängliche Fall begegnete, dass der Postillion in düsterer Nacht schwur, er könne das Ding nicht weiter fortbringen, und an einer einsamen Waldwohnung stillhielt, deren Lage, Bauart und Bewohner schon beim hellsten Sonnenschein hätten Schaudern erregen können. Der Tag, selbst der grauste, war dagegen erquicklich: Man reif das Andenken der Freunde hervor, bei denen man vor kurzem so trauliche Stunden zugebracht; man musterte sie mit Achtung und Liebe, belehrte sich an ihren Eigenheiten und erbaute sich an ihren Vorzügen. Wie aber die Nacht wieder hereinbrach, da fühlte man sich schon wieder von allen Sorgen umstrickt in einem kummervollen Zustand. Wie düster aber auch in der letzten und schwärzesten aller Nächte meine Gedanken mochten gewesen sein, so wurden sie auf einmal wieder aufgehellt, als ich in das mit hundert und aber hundert Lampen erleuchtete Kassel hinein fuhr. Bei diesem Anblick entwickelten sich vor meiner Seele alle Vorteile eines bürgerlich-städtischen Zusammenseins, die Wohlhäbigkeit eines jeden einzelnen in seiner von innen erleuchteten Wohnung und die behaglichen Anstalten zu Aufnahme der Fremden. Diese Heiterkeit jedoch ward mir für einige Zeit gestört, als ich auf dem prächtigen tageshellen Königsplatz an dem wohlbekannten Gasthof anfuhr: Der anmeldende Diener kehrte zurück mit der Erklärung, es sei kein Platz zu finden. Als ich aber nicht weichen wollte, trat ein Kellner sehr höflich an den Schlag und bat in schönen französischen Phrasen um Entschuldigung, da es nicht möglich sei, mich aufzunehmen. Ich erwiderte darauf in gutem Deutsch, wie ich mich wundern müsse, dass in einem so großen Gebäude, dessen Raum ich gar wohl kenne, einem fremden in der Nacht die Aufnahme verweigert werden wolle. „Sie sind ein Deutscher!“, rief er aus, „das ist ein anderes!“, und sogleich ließ er den Postillion in das Hoftor hereinfahren. Als er mir ein schickliches Zimmer angewiesen, versetzte er: Er sei fest entschlossen, keinen Emigrierten mehr aufzunehmen. Ihr Betragen sei höchst anmaßend, die Bezahlung knauserig; denn mitten in ihrem Elend, da sie nicht wüssten, wo sie sich hinwenden sollten, betrügen sie sich noch immer, als hätten sie von einem eroberten Land Besitz genommen. So schied ich nun in gutem Frieden und fand auf dem Weg nach Eisenach weniger Zudrang der so häufig und unversehens heran getriebenen Gäste.”

In der Goethebiographie von J. W. Schaefer von 1851 liest sich die Reise so:

“Da Goethe vergeblich von Woche zu Woche auf seine Reisechaise wartete, die ihm von Koblenz aus hatte nachgeschickt werden sollen, so fuhr er endlich um den Anfang des Dezembers in Jacobis Reisewagen ab, um bei der Fürstin Gallitzin zu Münster, mit der er einst in Weimar schöne Stunden verlebt hatte, zu einem kurzen Besuch einzukehren. Unterwegs erneuerte er mit dem Professor Plessing zu Duisburg das Andenken an das abenteuerliche Zusammentreffen früherer Jahre und fand in der Unterhaltung mit dem Naturhistoriker Merrem „einige gute Ideen über die Wissenschaft, die ihm so sehr am Herzen lag.“ In Münster fand er im Haus der Fürstin alles zur freundlichsten Aufnahme vorbereitet. In der Nähe dieser schönen Seele, in der sich Frömmigkeit und zarter Sinn für alles Edle in Kunst und Wissenschaft begegneten, war sich unser Dichter selbst „milder als seit langer Zeit.“ Er erkannte es als ein großes Glück, „nach dem schrecklichen Kriegs- und Fluchtwesen endlich wieder fromme, menschliche Sitte auf sich einwirken zu fühlen.“ Es war dies eine Sehnsucht seines edleren Selbst, die ihn zu den Freundeskreisen im Norden hingezogen hatte und ihn in Pempelfort wochenlang fesselte. Die Misstöne, die er in seinem Innern barg, waren schon nach und nach verscheucht, und wenn man sich auch die Verschiedenheit des Standpunktes offen gestand, so trafen doch die tiefer eingehenden Gespräche, die sich zunächst an Hamann und Hemsterhuys, die abgeschiedenen Freunde der Fürstin, anknüpften, in der Anerkennung des Edelsten und Höchsten im menschlichen Dasein zusammen. Schilderungen Italiens gaben auch diesen Unterhaltungen einen hohen Reiz, besonders wurden die katholischen Geistlichen, die vornehmlich den Gesellschaftskreis der Fürstin bildeten, durch die anschauliche Schilderung der katholischen Kirchenfeste angezogen. An einem Protestanten fiel diese tolerante Objektivität so sehr auf, dass man sich heimlich erkundigte, ob denn Goethe katholisch geworden sei; schon während seines Aufenthalts in Italien tauchte dies Gerücht hin und wieder auf.
Im Verkehr mit dem trefflichen von Fürstenberg, der mathematischen und naturhistorischen Studien nicht fremd war, kamen auch Goethes naturgeschichtliche Forschungen zur Sprache. Zu Erörterungen antiker Kunst gelangte man wiederholt durch die Betrachtung der vorzüglichen Sammlung geschnittener Steine, welche im Besitz der Fürstin war, ein Nachlass von Hemsterhuys. Goethe fühlte sich durch das Studium lebhaft angesprochen, so dass die Fürstin ihm beim Scheiden die ganze Sammlung mitgab, damit er in Weimar zu sorgfältigeren Studien Muße habe. Es war ihr abgeraten worden, Goethe dies kostbare Besitztum anzuvertrauen, worauf sie jedoch erwidert hatte: „Glaubt Ihr denn nicht, dass der Begriff, den ich von ihm habe, mir lieber sei, als diese Steine? Sollt’ ich die Meinung von ihm verlieren, so mag dieser Schatz auch hinterdrein gehen.“ Nach dem Abschied von Münster begleitete ihn noch die Fürstin bis auf die erste Station, indem sie sich zu ihm in den Wagen setzte. Noch einmal tauschten sie ihre Religionsansichten gegenseitig aus, und sie trennte sich von ihm mit dem Wunsch, ihn, wo nicht hier, doch dort wieder zu sehen.
Indes hatte sich das Fluchtgetümmel vom Rhein her nach Westfalen hereingewälzt. Goethe geriet mitten in den Schwarm der Emigrierten, nicht wenig erfreut, dass er durch die Fürsorge der Fürstin durch Laufzettel auf den Poststationen angemeldet und empfohlen war, so dass er, wenn gleich bei dem schlechtesten Wetter oft auf ungebahnten Wegen hin und her geschüttelt, doch rasch über Paderborn nach Kassel weiter befördert ward. In Kassel war man der Anmaßung der Emigrierten schon so überdrüssig geworden, dass er den in französischer Sprache ihn höflichst abweisenden Kellner deutsch anreden musste, um nur im Gasthof Aufnahme zu finden. Über Eisenach gelangte er dann um die Mitte Dezember nach Weimar zurück. “

Copyright dieser Seite © by Verlag Ch. Möllmann, Schloss Hamborn,                                  Impressum