Bodo von Plato führte im Jahre 1990 Gespräche mit Siegfried Pickert und Erbprinz Georg Moritz von Sachsen-Altenburg zum Zeitraum des Nationalsozialismus in Hamborn. So wissen wir, daß bereits im Herbst 1935 nach Einschätzung des Borchener Bürgermeisters (Heinrich Michels) Hamborn als “Fremdkörper in der Gemeinde” galt und daß dort “Missstände” festgestellt seien, die eine “sofortige Schließung” rechtfertigen würden. Drei Wochen blieb Hamborn bis zur Schließung Zeit. Plato schreibt weiter: “Durch einen Hamborner Mitarbeiter konnten verwandschaftliche Beziehungen zu Rudolf Heß - seit 1932 Vorsitzender der Politischen Zentralkommission der NSDAP und seit der Machtergreifung Stellvertreter des Führers - sowie bestehende Kontakte zu dessen Frau aktiviert werden.” Durch die schützende Hand von Rudolf Heß konnte die Arbeit in Hamborn trotz Verbot fortgeführt werden, allerdings wurde das Verbot nicht zurückgezogen, so dass die Gefahr einer Schließung immer drohte. In der Folgezeit (November 1937) fand eine “Untersuchung” statt, heute würde man Verhör dazu sagen. Bei v. Plato kann man lesen, wie sich Pickert und der Erbprinz in solchen Situationen verhielten. Siegfried Pickert wurde in der Folge die Unterrichtsgenehmigung entzogen, das Heim jedoch blieb zunächst erhalten.
Im Juni 1941 (Siegfried Pickert war zu dieser Zeit eingezogen zur Wehrmacht und tat seinen Dienst auf dem Fliegerhorst in Mönkeloh) wurde dann die Arbeit in Hamborn endgültig beendet. Rudolf Heß war nach England geflogen und mit ihm seine “schützende Hand”. Alle Anhänger Rudolf Steiners wurden des Ortes verwiesen. Die Mitarbeiter wurden des Ortes und durch das Arbeitsamt in andere Tätigkeiten eingewiesen. Es durften nur die Bewohner des Gartenhauses bleiben, da dieses Privateigentum war. Der Verein wurde aufgelöst und das Vermögen von der Staatspolizeistelle in Bielefeld beschlagnahmt. Auf deren Weisung vom 26. November 1941 wurde das Vermögen durch die Regierung in Minden am 19. Februar 1942 zugunsten des Deutschen Reiches als reichsfeindliches Vermögen eingezogen. Erbprinz Georg Moritz von Sachsen-Altenburg und sein Geschäftsführer Adolf Ammerschlaeger wurden zu Schutzhaft verurteilt. Diese Schutzhaft dauerte ein dreiviertel Jahr, länger als jede andere Person, die im Zusammenhang mit der Zerschlagung der anthroposophischen Bewegung und der Christengemeinschaft inhaftiert wurde. Nach Hauschka (Wetterleuchten im Zeitgeschehen) war für den Erbprinzen das Todesurteil vorgesehen. Nach dem Krieg kehrt der Erbprinz 1946 nach Schloss Hamborn zurück und lebt dort bis zu seinem Tod am 13. 2. 1991.
Direkt nach der Zerschlagung der Hamborner Arbeit wurden bereits im Juni 1941 erstmals Mütter und Kinder aus Münster nach einem Fliegerangriff nach Schloss Hamborn evakuiert. Spätestens im August wurde das Anwesen von Schloss Hamborn dann offiziell der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) überlassen, die es als Mütter- und Kindererholungsheim nutzte. Am 17. November 1942 stellte die NSV den Antrag, das Schloss mit Kavaliershaus, Werkstatt, Ulmenhaus, Garage, Gärtnerei, Parkwiese unterhalb des Schlosses und den öffentlichen Waldhang zu kaufen (Staatsarchiv Münster, Akte Nr. 75). Heimleiterin war Josefine Stein, ab September 1943 Friedel Martin. Die Belegung erfolgte hauptsächlich mit durch Fliegerangriffe gefährdeten Schwangeren aus den Gebieten Münster, Recklinghausen, Emscher-Lippe. Die Frauen kamen etwa vier Wochen vor der Geburt nach Hamborn, Geschwisterkinder kamen mit. Die Entbindungen wurden in der Landesfrauenklinik in Paderborn durchgeführt. die damals übliche Stillzeit von 4-6 Wochen blieben die Mütter in Hamborn, ehe sie wieder nach Hause zurückkehrten oder - wenn dies nicht möglich war - im Rahmen der Landverschickung nach Bayern und Österreich auf die Reise gingen. Grundsätzlich sollten nur verheiratete Frauen aufgenommen werden, vorwiegend solche, deren Ehemänner bereits vor der Geburt des Kindes gefallen waren. Bei unverheirateten Kindern mußte garantiert sein, daß die Kinder “wertvolle Menschen sind” (so der Kreisamtsleiter W. Schönborn an Heimleiterin J. Steim am 14. Jan. 1942, zitiert in Paderborner Beiträge zur Geschichte Band 7) Das wachsende Mütter- und Kindererholungsheim ist recht gut beschrieben im Aufsatz von N. Ellermann: “Als auf Schloss Hamborn die Hakenkreuzflagge wehte” in “die warte” Nr. 125 (2005).
Am Ende des Krieges waren Plünderung und Zerstörung durch frühere ausländische Zwangsarbeiter das Los der Anlage, in der sich bis zuletzt junge Männer der Waffen-SS unter dem Sturmbannführer Frühauf verschanzt hatten, die zur Aufklärung der militärischen Lage und zur Verteidigung Paderborns zur letzten großen (Panzer-)Schlacht auf der Paderborner Hochfläche zusammengezogen waren. Im Bereich der jetzigen Reha-Klinik befand sich derzeit ein Depot für Treibstoff für den naheliegenden Militärflugplatz Mönkeloh. Die Wachmannschaft hatte die Westhälfte des Hauses 94 bezogen. Heftig tobten gerade hier die Kämpfe, nicht nur weil beim Hamborner Gelände der amerikanische General Maurice Rose erschossen wurde. Viele tote Soldaten wurden nach der Schlacht aus den umliegenden Wäldern geborgen, ob es auch Exekutionen gegeben hat ist bis heute umstritten.
Im Jahre 2004 gab es im Staatsarchiv in Detmold eine Ausstellung über NS-Opfer und ihre Entschädigung in Ostwestfalen Lippe. Ein Beispiel war die Heil- und Erziehungsanstalt Schloss Hamborn. Teile der Dokumentation aus dem von Dieter Klose herausgegebenen Themenheft des Staatsarchivs seien hier wiedergegeben:
“Bald nach der nationalsozialistischen Machtergreifung geriet die Einrichtung ins Visier von Behörden, der NSDAP und ihrer Organisationen. Zum Vorwurf wurde gemacht, dass der Hitlergruß nicht angewandt und der Eintritt von Schülern in die Hitlerjugend verhindert werde. Die Befähigung der Heim- und Lehrkräfte wurde nachhaltig angezweifelt. Da Kinder und Jugendliche ohne Unterschied ihrer Abstammung, der politischen Parteizugehörigkeit ihrer Eltern, ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Weltanschauung in das Heim aufgenommen wurden, forderte der Landrat, Maßnahmen zu ergreifen, damit nur Kinder arischer Abstammung dort Aufnahme fänden. Dem Bestreben des Amtsarztes beim Kreisgesundheitsamt Paderborn, die Zöglinge nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zwangsweise sterilisieren zu lassen, versuchte das Heim mit dem Hinweis zu begegnen, es handle sich um eine geschlossene Anstalt. Der Gestapo zufolge war das Heim schlicht ,,fauler Zauber" und ,,vom Ausland importierter jüdischer Brimboriumschwindel". Um den Umgang mit den Zöglingen des Heims zu unterbinden, wurden die Ferienkolonien für Kinder auswärtiger Schulen verboten. Man schlug vor, die Anstalt unter die Kontrolle der ,,NS-Volkswohlfahrt" (NSV) zu stellen. Um den Trägerverein stärker aus der Kritik zu nehmen, wurden das Gut Hamborn und das Erholungsheim 1936 an den Erbprinzen Georg Moritz von Sachsen-Altenburg verpachtet, der schon seit 1931 mit Familienmitgliedern in Hamborn wohnte und die Erziehungsarbeit unterstützte. Seit 1937 wurden die Aufrechterhaltung des Heims, die Aufnahme epileptischer Kinder, die lebenslange Betreuung von Pflegekindern und der Unterricht wiederholt verboten. Dadurch kam die Erziehungstätigkeit zunehmend zum Erliegen. Am 9. Juni 1941 wurde das Heim von der Gestapo beschlagnahmt, im folgenden Jahr das Vermögen vom Staat eingezogen. Die Beschlagnahmung im Juni 1941 stand im Zusammenhang mit der so genannten ,,Hess-Aktion”; Der ,,Stellvertreter des Führers”, Rudolf Heß, hatte im Mai 1941 einen Flug nach Schottland unternommen, um angeblich geheime Friedensverhandlungen mit der britischen Regierung zu führen. Als er dann jedoch in britische Kriegsgefangenschaft kam, wurde er seiner Ämter enthoben und von der nationalsozialistischen Propaganda als Opfer anthroposophischer Kreise dargestellt. Zu den daraufhin ergriffenen Maßnahmen gegen anthroposophische Einrichtungen zählt das Vorgehen gegen die Einrichtung auf Schloss Hamborn. Die maßgeblichen Personen des Vereins, darunter der Erbprinz von Sachsen-Altenburg, wurden unter dem Verdacht staatsfeindlicher Betätigung für Monate im Polizeigefängnis Bielefeld festgehalten. Unterdessen richtete der Amtsleiter des Kreises Paderborn der NS-Volkswohlfahrt das Schloss als MüttererhoIungs- und Entbindungsheim für ausgebombte Schwangere aus dem Ruhrgebiet ein. Nach Verhandlungen zwischen dem Finanzamt Paderborn als Treuhänder und dem Verein Soziales Hilfswerk Schloss Hamborn eV. wurde diesem Verein im Januar 1947 das Gut zurückgegeben. Bereits im April desselben Jahres begann der Unterricht wieder. In dem 1950 angestrengten Rückerstattungsverfahren vor der Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Paderborn klagte der Verein auf Wiedergutmachung u. a. der Schäden durch Raub, Zerstörung bzw. Verkauf von Mobiliar und Inventar sowie Misswirtschaft in Forst- und Landwirtschaft aufgrund weltanschaulich begründeter Verfolgungsmaßnahmen. Gemäß dem Beschluss der Wiedergutmachungskammer vom 20. Januar 1956 hatte die Oberfinanzdirektion Münster als Rechtsnachfolgerin der NS-Volkswohlfahrt Schadensersatz in Höhe von knapp 70.000 DM zu zahlen. Der Erbprinz von Sachsen-Altenburg erstritt in einem weiteren Rückerstattungsverfahren eine Entschädigung in Höhe von 25.000 DM. In dem 1958 angestrengten Entschädigungsverfahren des Vereins sprach das Oberlandesgericht Hamm dem Verein auch einen Entschädigungsanspruch grundsätzlich zu: Nach sechs Jahren endete das Verfahren mit einem Vergleich, demzufolge das Land Nordrhein-Westfalen an den Verein 20.000 DM zu zahlen hatte.”
Ein andere Frage ist: was passierte mit den Betreuten Kindern während der Verbotszeit und nach der Schließung Hamborns? Im Jahr 2001 schrieb der Hamborner Mitarbeitetr G. Bögeholz im Auftrag der Werkgemeinschaft auf eine Anfrage des Bundesarchivs Berlin “Nach der Schließung konnten die Betreuten rechtzeitig bei ihren Angehörigen versteckt werden. Unseres Wissens ist damals keiner der Betreuten deportiert oder ermordet worden.” Dem gegenüber steht eine handschriftliche Liste des Erbprinzen Georg Moritz v. Sachsen-Altenburg, der unter der Überschrift “Unsere lieben Toten” nicht nur die im Krieg gefallenen Hamborner Mitarbeiter und Helfer auflistet, sondern unter der Überschrift “Opfer der Euthanasie” auch zwei Namen auflistet. Nachweislich gab es auch mehrere Zwangssterilisationen. Alles in allem eine Zeit mit vielen Fragezeichen. Der Werkgemeinschaft stünde es gut an, mit einem Forschungsauftrag ihre eigene Vergangenheit - soweit möglich - aufzuarbeiten. Sich auf Nichtwissen zu berufen ist ein wenig dürftig.
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